Heimat – Die Jugend in Herford
Erich Gutenberg wurde am 13.12.1897 in eine recht wohlhabende Familie in Herford geboren. Er wuchs noch im wilhelminischen Zeitalter auf, einer Zeit voller Fortschrittsglauben, Aufbruchstimmung und steigenden Wohlstands.
Auch in Herford ging es nach zwei Jahrhunderten des Niederganges, bitterer Armut und einer hohen Auswanderungsquote seit Mitte des Jahrhunderts wieder aufwärts. Die Entwicklung des Fabriksystems und die Anbindung der Stadt an die Köln-Mindener Eisenbahn 1847 brachten den Wandel. So wuchs auch in Herford ein selbstbewusstes und teilweise recht wohlhabendes Bürgertum heran. Die Stadt dehnte sich über die Grenzen der alten Stadtmauern hinaus in die Feldmarken aus. Die Wallanlagen der ehemaligen Stadtbefestigung wurden im Laufe der Jahrzehnte zu einer beliebten Promenade der Herforder Bürger. Auch mit der „Okkupation“ durch Preußen hatte man sich arrangiert, und die Herforder waren Ende des 19. Jahrhunderts überwiegend gut preußisch gesinnt.
Das Elternhaus Gutenbergs war eine typische große Villa der Gründerzeit, erbaut von dem bekannten Architekten Gustav König. Ein Haus aus rotem Backstein mit vielen Erkern und Türmen, ganz im Stil des Historismus. Das Haus lag am Steintorwall 9 – einst Teil der Stadtbefestigung – 1897 schon eine beliebte Promenade. Unterhalb des Walls floss der Stadtgraben, für Gutenberg, seine Geschwister und Freunde ein Paradies zum Spielen – oft aber auch Anlass für nasse Hosen! Die Villa musste in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts einem Erweiterungsbau des „alten“ Kreis-krankenhauses weichen.
Erich Gutenberg hatte 5 Geschwister, zu denen teilweise ein großer Altersunterschied bestand. Die älteste Schwester Frida wurde 1884 geboren, es folgen Hans, 1885 (der verehrte und geliebte große Bruder), Elisabeth 1886, Gustav 1888 (er verstarb bereits 1891 im Alter von 3 Jahren an Diphtherie), und dann kamen als Nachzügler noch Erich 1897 und Paul 1899.
Erich und Paul teilten ein Kinderzimmer, Erich musste als der Ältere auf Paul aufpassen, aber gemeinsam beging man alle Streiche und neckte die älteren Schwestern und deren Verehrer. Paul war in diesem Brüderpaar der extrovertierte Draufgänger, Erich das ganze Gegenteil: introvertiert, zurückhaltend, fast ein wenig melancholisch.
Die Familie Gutenberg gehörte zu den angesehenen Fabrikanten-Familien in Herford.
Gustav Gutenberg, der Vater, geboren 1845, stammte aus Zörbig, einem kleinen Ort ca. 20 km nordöstlich von Halle, also aus der Provinz Sachsen (heute Sachsen-Anhalt). In Zörbig waren die Gutenbergs seit Generationen als Handwerker ansässig. Gustav Gutenberg war ein willensstarker Mann, der hohe Anforderungen an sich selbst stellte, zielstrebig mit klarem Verstand. So erzog er auch seine Kinder. In seiner Haltung und seinen Ansichten war er ein preußischer Patriot.
Erich Gutenberg schrieb über seinen Vater:“ Seine Kinder liebte er sehr, wenn auch die Liebe nie zur Zärtlichkeit wurde. Er war seinen Kindern gegenüber auch großzügig und generös, aber wir Kinder haben die Zärtlichkeit oft vermisst.“
Dieser nüchterne, spröde Tatmensch war mit einer Frau verheiratet, die den Kindern Wärme gab, liebevoll den Mittelpunkt der Familie und des Hauses bildete und die große Familie zusammenhielt. Anna Gutenberg, geb. Münter (1857 – 1939), stammte aus einer alten, weit verzweigten Herforder Familie. Ihr Bruder war der Architekt Paul Münter (1868 – 1947), der sich dem Jugendstil verschrieben hatte. Eine Vielzahl von Bauten zeugen noch heute in Herford von seiner gestalterischen Kraft.
Vor allem Erich Gutenberg fühlte sich in seiner Kindheit und Jugend von der künstlerischen Atmosphäre, der Liberalität und der geistigen Aufgeschlossenheit des Hauses Münter besonders angezogen. Neben dem Elternhaus war dies Sinnbild der glücklichen Jugendzeit in Herford, „Weil ein glückliches Elternhaus Kraft für ein ganzes Leben gibt.“, wie Erich Gutenberg einmal schrieb.
Die künstlerischen Impulse aus dem Haus Münter und die heile Welt des Elternhauses verwoben sich für ihn zu einem Gefühl Heimat, Herford.
Erich Gutenberg
„Weil ein glückliches Elternhaus Kraft für ein ganzes Leben gibt.“